Editorial: Chaostage bei ProSiebenSat.1
ProSiebenSat.1-Aufsichtsratschef Andreas Wiele (l.) und CEO Bert Habets hatten auf der Hauptversammlung einen schweren Stand
Foto: Benedikt Müller/ProSiebenSat.1
Eigentlich hätte sich das Triumvirat um ProSiebenSat.1-Aufsichtsratschef Andreas Wiele, seinem Stellvertreter Prof. Rolf Nonnenmacher und CEO Bert Habets bei der Hauptversammlung keine großen Sorgen machen müssen. So fiel der italienische Minderheitsaktionär Media For Europe zwar häufig durch lautes Säbelrasseln auf, doch bei Fragen wie einer vollständigen Übernahme von ProSiebenSat.1 hielt sich der Berlusconi-Konzern dann doch bedeckt und akzeptierte die Entscheidungen des Managements bildlich gesprochen mit geballter Faust in der Tasche.
Für eine gewisse Zeit hatte man sogar den Eindruck, dass die Italiener kein großes Interesse verspüren, überhaupt eigene Vertreter in den Aufsichtsrat von ProSiebenSat.1 zu schicken. Mit ihrem erfolgreichen Schachzug im Rahmen der Aufsichtsratssitzung hat Media For Europe aber wohl nicht nur das Management überrumpelt. Politik und Kartellwächter dürften den Vorgang ebenfalls mit Argusaugen verfolgen.
Großer Einfluss trotz Minderheitsbeteiligung
ProSiebenSat.1-Aufsichtsratschef Andreas Wiele (l.) und CEO Bert Habets hatten auf der Hauptversammlung einen schweren Stand
Foto: Benedikt Müller/ProSiebenSat.1
Seit einiger Zeit dümpeln die Mailänder bei ProSiebenSat.1 an der wichtigen Schwelle, für die sie den Aktionären ein Übernahmeangebot unterbreiten müssen. Nun gibt es sicherlich gute Gründe, warum sie bislang vor einer vollständigen Übernahme Abstand halten. Benannt wurden diese immer wieder: Neben dem nicht unerheblichen finanziellen Aspekt sind auch regulatorische und politische Herausforderungen zu bewältigen. Natürlich wäre eine vollständige Übernahme von ProSiebenSat.1 deutlich komplexer, als zum Beispiel die Integration der spanischen Mediaset-Tochter. Und schließlich fehlt in Mailand das Interesse, einen "Gemischtwarenladen" mit Tarifvergleichen, Parfüm und Datingplattformen zu erwerben.
MFE hat auf der Hauptversammlung allerdings eindrucksvoll bewiesen, dass sie keine Mehrheit brauchen, um den Konzern strategisch in ihrem Interesse auszurichten. Im Zweifel genügt es bereits, andere institutionelle Investoren wie PPF ins eigene Lager zu ziehen. Und wenn man sich die Ergebnisse der Abstimmungen im Detail anschaut, dürfte die Überzeugungskraft von MFE wohl auch bei so einigen freien Aktionären bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Denn das Ergebnis um einen Antrag zur Aufspaltung von ProSiebenSat.1 fiel zweifelsohne überraschend knapp aus.
Kurswechsel unausweichlich
In einer Pressemitteilung kurz nach der Abstimmung verkaufte ProSiebenSat.1 es verständlicherweise als Erfolg, dass die Aktionäre knapp gegen eine Aufspaltung des Konzerns stimmten. Aber dies (und das wissen CEO Habets und Aufsichtsratschef Wiele selbstredend genau) ist letztendlich nur ein kosmetisches Statement. Daraus ein Mandat für die Fortsetzung der bisherigen Unternehmensstrategie abzuleiten, wäre in der Tat mehr als vermessen.
Spätestens jetzt sollte eigentlich allen Beteiligten klar sein, dass an einer zügigen Neuausrichtung des Medienkonzerns überhaupt kein Weg mehr vorbeiführt. Eine Totalopposition gegen MFE führt das Management vielmehr direkt in die Sackgasse. Der Zusammenschluss mit Italien war für ProSiebenSat.1 nie eine Liebesheirat, das galt schon unter Habets Vorgänger Rainer Beaujean. Wie so oft gibt es gute und nachvollziehbare Argumente in Unterföhring gegen die Beteiligung an einem paneuropäischen Medienkonzern unter Führung von MFE. Nicht von der Hand zu weisen sind aber ebenso die Argumente von Pier Silvio Berlusconi. Nationale Medienkonzerne haben es in einem globalen Markt immer schwerer. Und dieser Trend wird sich nicht umkehren lassen. Nicht ohne Grund suchte selbst Mitbewerber RTL - wenn auch weniger erfolgreich - nach Möglichkeiten zur europäischen Konsolidierung seiner Senderbeteiligungen.
Herausforderungen bleiben bestehen
Auch ProSiebenSat.1-Finanzchef Martin Mildner dürfte klar sein, dass das Unternehmen bei wichtigen Kennzahlen wie den Werbeumsätzen, der Konzernverschuldung und letztendlich dem Aktienkurs vor weiterhin großen Herausforderungen steht. Einige eben dieser Herausforderungen sind langfristig externer Natur und somit für das Unternehmen überhaupt nicht beeinflussbar.
So ist in naher Zukunft nicht mit einer Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Lage zu rechnen, weshalb Unternehmen ihre Werbebudgets vermutlich nicht aufstocken. Zudem müssen in Zukunft nicht unerhebliche Investitionen ins Programm und die Streaming-Plattform Joyn getätigt werden. Verkäufe aus den Segmenten Commerce & Ventures sowie Dating & Video schaffen kurzfristig benötigtes Kapital, doch verkaufen kann man diese Assets nur einmal. Am Ende steht der Konzern wieder vor den gleichen strukturellen Problemen.
Eine kritische Größe und Synergien sind in der Medienbranche essenziell. Und wohl kaum jemand hat damit bessere Erfahrungen, als die einschlägigen US-Konzerne. Just in diesem Moment laufen wieder Übernahmegespräche um den Medienriesen Paramount, der im Prinzip vor den gleichen Problemen wie ProSiebenSat.1 steht. Ein schwächelnder Werbemarkt, Probleme mit linearen Fernsehsendern und hohe Kosten im Streaming. Als Fazit bleibt also festzuhalten: Auch wenn MFE vielleicht nicht der Wunschpartner in Unterföhring ist, wäre der Versuch, einer zunehmend globalen Medienbranche starke und stabile paneuropäische Medienkonzerne entgegenzusetzen, immer noch weitaus chancenreicher, als diesen Kampf mit bescheidener Prognose auf eigene Faust zu führen.